„Der schlechte Ruf kommt nicht erst durch die Globalisierung und die aktuelle Migration, ist Katharina Eisch-Angus überzeugt. Es herrsche vielmehr eine Vorurteilsdynamik mit einer jahrhundertelangen Tradition, die bis auf die Gründung von Graz vor 900 Jahren zurückgeht. Die ehemalige Mur-Vorstadt war schon immer Anziehungspunkt für Zuwander:innen. Handwerker und Arbeiter:innen, Juden und Jüdinnen schufen zusammen mit Kriegsflüchtlingen, Künstler:innen, Erwerbslosen und anderen als „unehrbar“ angesehenen Gruppen eine sozial und kulturell bunt gemischte Gesellschaft.
Emotionale Bindung
Resultat dieses Schmelztiegels war eine lebendige Wirtschaft, von der die historischen Mühlen, Werkstätten und Industriegebäude zeugen sowie eine, so Eisch-Angus, nach wie vor anregende und vielfältige Gesellschaft. „Viele Menschen haben aus ihren Herkunftsgebieten ganz spezifische Kompetenzen etwa für den Umgang mit der Vielsprachigkeit mitgebracht“, bestätigt die Wissenschaftlerin, für die der Bezirk sowohl Forschungsgegenstand als auch Wohnort ist.
Voraussetzung für eine positive Entwicklung sei es, diese Fähigkeiten wertzuschätzen und den Menschen mit ihren Erzählungen, Erinnerungen und Wünschen zuzuhören. Das hat Katharina Eisch-Angus in einem Projekt mit Beteiligung von Studierenden getan. „Die ehemaligen Industriebauten vermitteln Identifikation mit der Geschichte und ein Gefühl von Heimat“, zitiert die Forscherin ein Ergebnis. „Es braucht ein Verständnis für diese emotionale Bindung an eine gewachsene Erinnerungslandschaft, die sich etwa in den intensiven Protesten im Viertel gegen den anhaltenden Bauboom und für den Erhalt sowie die Umnutzung der Rösselmühle gezeigt hat.“
Lebensqualität
Vor dem Hintergrund der Pläne, den Griesplatz neuzugestalten, appelliert die Kulturanthropologin an die Stadtpolitik, die Menschen mit ihren Bedürfnissen in die Stadtplanung so einzubeziehen, dass die besondere Lebensqualität des Viertels weiterentwickelt und soziale Probleme aufgefangen werden können.
Weitere Ergebnisse der Projektgruppe MEHL GRIES BETON stellt Katharina Eisch-Angus bei der 5. Veranstaltung „Pop-up Kultur- und Nachbarschaftszentrum Extern“ des Komitee Rösselmühle vor: Wer fürchtet sich vorm Griesplatz? Grazer Blicke über die Mur – und retour, am 5. Juni 2025, um 19 Uhr im Café Postgarage