Rechnen ist ein komplexer Vorgang, bestätigt Stephan Vogel vom Institut für Psychologie. Zu einem Ergebnis führen mehrere Teilprozesse in unterschiedlichen Gehirnregionen – und das kann für Ungeübte dauern. Mathe sei besonders schwer, ist für den Neurowissenschaftler aber eine faule Ausrede: „Ein ‚Ich bin darin nicht gut‘ ist gesellschaftlich akzeptiert. Tatsächlich ist das Lesenlernen vergleichbar kompliziert. Es würde aber niemand zugeben, einen Text nicht entziffern zu können.“
Vogel hat mit EEG- und MRT-Untersuchungen herausgefunden, wo es hakt, wenn sich jemand mit dem Addieren oder Multiplizieren plagt: „Dann ist häufig das Verständnis von Mengen und Zahlen nicht ausreichend aufgebaut.“ Die ersten Rechenschritte lernen wir nämlich bereits im Säuglingsalter. „Mit etwa sechs Monaten können Babys schon Größe von Mengen unterscheiden und erkennen, wenn etwas dazukommt oder wegkommt“, führt der Forscher aus. Später müssen Kinder dann die Vorstellungen von Mengen mit abstrakten Zeichen, also den Zahlen, in Verbindung bringen. Dieser Schritt fällt nicht allen leicht – genauso wie die Verbindung von Sprachlauten und Buchstaben. „Dyskalkulie und Dyslexie treten häufig gemeinsam auf“, weiß der Forscher.
Wie wichtig der Aufbau dieser Grundkonzepte ist, wird bislang noch häufig unterschätzt, ist Vogel überzeugt. Im Schulalltag werde er daher zu schnell übersprungen. Das rächt sich für die, die sich schwerer tun. „Man muss in der ersten Schulstufe sicherstellen, dass das Verständnis gut verankert ist. Das kann man mit entsprechenden Anschauungsmaterialien erreichen“, erklärt der Neurowissenschaftler. Zahlenreihen richtig anzuordnen ist eine solche Möglichkeit. Wenn die Kinder das beherrschen, können sie flexibler und effizienter arbeiten. Dann bleibt nämlich der „Arbeitsspeicher“ im Kopf frei für andere Operationen.
Zeichen-Verwirrung
Was beim Rechnen tatsächlich eine größere Hürde ist als beim Schreiben: das begrenzte Inventar an Symbolen. „Wir müssen unendlich viele Zahlen zusammenbauen, indem wir lediglich zehn Ziffern in unterschiedlichen Kombinationen anordnen. Da kann es schon zu Verwechslungen kommen, wenn das Wissen darüber noch nicht so gut aufgebaut ist“, weiß Vogel. Zuerst den Zahlenraum bis zehn zu festigen, ist eine hilfreiche Maßnahme. Ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen und auf potenzielle Fehler hinzuweisen, eine weitere. Wie das in der Praxis am besten gelingen kann, erforscht der Psychologe, der auch Teil des Forschungsnetzwerks „Future Education“ ist, gerade im Rahmen eines FWF-Projekts.
Die gute Nachricht für die, die aus Unsicherheit lieber zum Taschenrechner greifen: Ungeübte und Genies nutzen beim Lösen von Mathe-Aufgaben dieselben Hirnareale. Um besser zu werden, braucht es also keinen Umbau im Kopf, sondern nur Training.
Dienstag, 11.03.2025