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Universität Graz Neuigkeiten Gegen Gewalt an Frauen: "Auch problematische Rollen- und Geschlechterbilder aufbrechen"

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Dienstag, 05.12.2023

Gegen Gewalt an Frauen: "Auch problematische Rollen- und Geschlechterbilder aufbrechen"

Orange Fahne vor dem Hauptgebäude

Die UN-Kampagne“Orange The World” findet jährlich zwischen dem 25. November, dem “Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen”, und dem 10. Dezember, dem “Internationalen Menschenrechtstag”, statt. Foto: Uni Graz/Weber

Orange the world – auch die Uni Graz beteiligt sich an Kampagne „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“. Anlässlich der Aktion schildert Sebastian Gölly, Wissenschaftler am Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie, im Interview, was Gesetze ausrichten können und welche gesellschaftlichen Hebel notwendig sind.

Wie verbreitet ist Gewalt gegen Frauen eigentlich?
Sebastian Gölly: Bei Gewalt gegen Mädchen und Frauen bzw. insgesamt bei Gewalt im sozialen Nahraum handelt es sich – leider – um ein sehr weit verbreitetes Phänomen. Das gilt für Österreich gleichermaßen wie international betrachtet. Je nach Untersuchung dürfte etwa jede dritte bis vierte Frau in Österreich in ihrem Leben von körperlicher und/oder sexualisierter Gewalt betroffen sein. Eine jüngere Studie des United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) und von UN Women zeigt etwa, dass 2022 zwar die Tötungsdelikte insgesamt zurückgingen, es aber gleichzeitig so viele Morde an Frauen gab wie in den letzten zwei Jahrzehnten nicht. Dabei waren die Täter größtenteils Familienangehörige beziehungsweise Intimpartner der getöteten Frauen. Für Österreich gilt das im Besonderen: Der Anteil an von ihren Intimpartnern getöteten Frauen ist in Österreich besonders hoch. Und heuer haben wir in der Steiermark ebenfalls einen sehr traurigen Höchststand, denn fast die Hälfte aller Frauenmorde in Österreich in diesem Jahr fand in der Steiermark statt…

Sind von Gewalt betroffene Frauen in Österreich rechtlich gut abgesichert? Ist die gesetzliche Lage ausreichend?
Gölly: Österreich hat insgesamt aus meiner Sicht ein sehr gutes Gewaltschutzrecht. Hier gelten wir im internationalen Vergleich seit dem ersten Gewaltschutzgesetz Ende der 1990er-Jahre sogar als Vorreiter. Auch wenn sich mit Sicherheit immer noch etwas verbessern ließe, gibt uns das Gesetz gute Interventionsmöglichkeiten in die Hand, um in Fällen von Gewalt im sozialen Nahraum einschreiten zu können. Diese Möglichkeiten werden in der Praxis auch gut genutzt und auch die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteur:innen in diesem Bereich, wie Polizei und andere Behörden, Justiz, Opferschutz- und Täterarbeitseinrichtungen, funktioniert insgesamt größtenteils ganz gut. Eine Sache muss man bei aller Freude über die gute Gesetzeslage aber im Kopf behalten: Die gesetzlichen Möglichkeiten können regelmäßig nur Personen zugutekommen, von deren Betroffenheit die Behörden erfahren. Gewalt im sozialen Nahraum bleibt aber oft im sogenannten „Dunkelfeld“ beziehungsweise im Verborgenen.

Hätten Sie Verbesserungsvorschläge?
Gölly: Ein wirklich wichtiger Aspekt besteht meiner Meinung nach darin, dass wir viel mehr über die Gewaltbetroffenen und ihre Situation wissen müssen, um zielgerichteter eingreifen zu können. Hier ist viel mehr Forschung unerlässlich, zumal die Datenlage in Österreich in diesem Bereich leider generell nicht besonders gut ist. An der Universität Graz beziehungsweise am Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie setzen wir in diesem Bereich besondere Forschungsschwerpunkte. Ich finalisiere beispielsweise gerade eine Untersuchung, die sich unter anderem der Frage widmet, welche Angebote und gesetzliche Möglichkeiten Gewaltbetroffene nutzen oder nicht nutzen – und warum. So hoffen wir, besser zu verstehen, wie man noch spezifischer und bedürfnisorientierter helfen kann. Außerdem haben wir mit den Grazer Gewaltschutztagen vor wenigen Tagen eine sehr große interdisziplinäre Tagung zu diesem Themenbereich abgehalten. Im Zuge der Grazer Gewaltschutztage haben Fachexpertinnen und -experten aus dem In- und Ausland und aus unterschiedlichsten Disziplinen und Bereichen in enger Verschränkung von Wissenschaft und Praxis drängende Fragen und Probleme im Themenfeld des Gewaltschutzes diskutiert. Zentral ging es etwa darum, wie eine mögliche Gefährdung von Gewaltbetroffenen besser eingeschätzt und darauf am besten reagiert werden kann.

Was braucht es abseits des rechtlichen Rahmens oder Aktivitäten wie „Orange the world“, um gegen Gewalt an Frauen gesellschaftspolitisch vorzugehen? Was können Sie als Rechtswissenschaftler beitragen?
Gölly: Lassen Sie mich vielleicht mit dem Ende der Frage beginnen: Als rechtswissenschaftlich, aber etwa auch kriminologisch Forschender kann ich hier vor allem beitragen, indem ich versuche, mehr über die Problemlage und die Situation zu erfahren. Damit, so wie vorhin schon angemerkt, durch wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn zielgerichteter eingegriffen und geholfen werden kann.
Langfristig werden wir aber um gesellschaftliche Veränderungen nicht herumkommen, wenn wir der Gewalt gegen Mädchen und Frauen beziehungsweise insgesamt der Gewalt im sozialen Nahraum Einhalt gebieten wollen. Dazu müssen wir problematische Rollen- und Geschlechterbilder aufbrechen, an einer echten Gleichstellung der Geschlechter arbeiten und bestimmte männliche Denkmuster überwinden. Es darf etwa niemand denken, seine Partnerin wäre sein „Eigentum“ und dürfe entsprechend kontrolliert werden. Gewalt darf als Lösung familiärer Konflikte keinesfalls anerkannt sein. Zur Bewusstseinsbildung können solche Aktivitäten und Aktionszeiträume wie die gerade laufenden „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ beitragen, es braucht aber vor allem auch dahingehende Prägungen beginnend mit der Erziehung spätestens im Kindergartenalter.

Wie beurteilen Sie die vorhandenen Schutzeinrichtungen?
Gölly: Es ist notwendig, den aktuell Betroffenen – rechtzeitig – Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen. Dazu müssen die entsprechenden Angebote hinreichend bekannt sein und auch die Hemmschwelle, sie in Anspruch zu nehmen, muss noch weiter sinken. Hier kann auch jede:r einzige etwas beitragen: Wenn man Vermutungen hat, dass eine Person im eigenen Umfeld von Gewalt betroffen ist oder diese einem das sogar erzählt, darf man nicht wegschauen! Man sollte auf Unterstützungsangebote wie die der Gewaltschutzzentren oder anderer Beratungsstellen hinweisen, zu deren Inanspruchnahme raten – und vielleicht auch dorthin begleiten, wenn das gewünscht ist. Und im Notfall oder bei akuter Gefahr sollte man ohne zu zögern die Polizei rufen. Es mag pathetisch klingen, ist aber wahr: Das kann Leben retten!

Erstellt von Interview: Andreas Schweiger

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