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Universität Graz Neuigkeiten Wie viel Gefühl braucht die Moral? Ralf Lutz erforscht die psychologische Seite der Ethik

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Mittwoch, 06.11.2024

Wie viel Gefühl braucht die Moral? Ralf Lutz erforscht die psychologische Seite der Ethik

Ralf Lutz vor einer Glaswand, dahinter ein Baum mit herbstlichem Laub ©Uni Graz/Pichler

Der Theologe Ralf Lutz war viele Jahre auch als Psychotherapeut tätig. Er interessiert sich für die psychologische Seite von Ethik und Moral. Foto: Uni Graz/Pichler

Was ist gut und was böse? Aufgrund unserer Erziehung und eigener Einsicht wissen wir meist, an welchen Werten wir uns orientieren sollen. Warum aber handeln wir trotzdem immer wieder nicht danach? Welche Rolle spielen dabei unsere Gefühle? Mit diesen Fragen befasst sich Ralf Lutz in seiner Forschung. Der Professor für Moraltheologie und promovierte Psychologe möchte die beiden Disziplinen näher zusammenbringen. „Die Ethik hilft uns herauszufinden, was richtig und falsch ist. Aber um zu verstehen, wie wir nach diesen Grundsätzen leben können, brauchen wir die Moralpsychologie“, ist Lutz überzeugt.

„Die Vorstellung, dass wir immer auch danach handeln, wenn wir wissen, was wir tun sollen, ist psychologisch und ethisch naiv“, sagt Ralf Lutz und nennt als ein Beispiel unser Umweltverhalten: „Häufig geht es dabei um ein Motivationsproblem. Etwa weil es bequemer ist, das Auto statt den Bus zu nehmen. Auch Emotionen sind von Bedeutung. Menschen lieben ihr Fahrzeug, weil es ihnen unter anderem ein Gefühl der Unabhängigkeit gibt.“

Der Theologe, der viele Jahre auch als Psychotherapeut tätig war, interessiert sich für die psychologische Seite von Ethik und Moral. „Wir sollten uns fragen, was notwendig ist, damit Menschen das, was sie sollen, auch umsetzen können und wollen. Wie sie das, was in einer Gesellschaft oder ganz persönlich als wertvoll gilt, auch als wertvoll erleben können. Das ist Moralpsychologie“, erklärt der Forscher. „Diese befasst sich auch damit, ob eine Person, die eine moralische Verfehlung oder gar ein Verbrechen begangen hat, zur Einsicht gelangen kann, schuldig geworden zu sein und ob sie fähig zum Mitgefühl mit den Opfern ist“, schildert der Wissenschaftler ein Beispiel.

Fühlen, um Moral zu lernen
Müssen wir das, was wir als wertvoll beschreiben, erst als solches fühlen, um es realisieren zu können? Diese Frage wird in der Ethik seit langem diskutiert. Sie interessiert Ralf Lutz besonders. Er ist überzeugt: „Wir brauchen das Gefühl, um Moral zu lernen.“ Das gelte insbesondere in der Kindererziehung. „Wenn ich es nicht als ungerecht empfinde, dass jemand im Bus einer körperlich beeinträchtigten Person den Platz wegnimmt, dann werde ich in einer solchen Situation auch nicht gerecht handeln können“, erläutert der Forscher.

Sind moralische Pflichten zwar einmal verinnerlicht, brauchen Menschen nicht immer wieder aufs Neue das Gefühl, um entsprechend zu agieren. Aber gerade in der Gegenwart, da traditionelle Werte zunehmend hinterfragt werden, sei es durch den Wandel der Geschlechterbeziehungen oder den Verlust religiöser Überzeugungen, würden Emotionen als Motivation für ethisches Handeln immer mehr an Bedeutung gewinnen, meint Lutz. „Wir stellen heute viel weniger die Frage nach Gott, aber alle Menschen stellen die Frage nach Sinn: Wie führe ich ein gutes, wertvolles Leben? An welchen Maßstäben orientiere ich mich dabei? Hier zeigt sich besonders schön, dass wir die Verbindung von Ethik und Psychologie brauchen“, so der Wissenschaftler. Er möchte dieses Forschungsgebiet, das er bereits an der Universität Tübingen beschritten hat, in Graz noch weiter erschließen und verankern.

Aus freien Stücken sterben
Ein Thema, mit dem sich der Theologe aktuell intensiver befasst, ist der assistierte Suizid. In Österreich darf diese Form der Sterbehilfe seit Anfang 2022 unter bestimmten Voraussetzungen zur Anwendung kommen. Eine Bedingung ist, dass die Person, die aus dem Leben scheiden möchte, frei verantwortlich handeln kann. „Aber was ist damit eigentlich gemeint?“, fragt Lutz, der aus Erfahrung weiß: „Die heroische Vorstellung, dass wir uns völlig frei für einen bestimmten Tod entscheiden, ist häufig ein Konstrukt.“ Das Sterben sei häufig ein passives Geschehen. „Wir Ethiker:innen unterstellen einfach, dass alle Menschen frei entscheiden können. Jurist:innen wiederum verstehen unter Freiheit, dass andere uns nicht fremdbestimmen dürfen. Der Effekt ist, dass in den öffentlichen Debatten aneinander vorbeigeredet wird“, bedauert der Forscher. In der Praxis entscheiden derzeit Medizinier:innen und Jurist:innen, ob eine Person frei verantwortlich handeln kann. „Aber eigentlich bräuchte man die Psychologie, um zu prüfen, ob das wirklich der Fall ist, ob jemand einen stabilen Willen hat, einsichts- und urteilsfähig ist“, meint Lutz. Er möchte die Fachleute aus den unterschiedlichen Disziplinen und dem Klinikalltag miteinander ins Gespräch bringen. „Die Ethik muss von der Praxis lernen“, ist Lutz überzeugt.

Am 21. November 2024 holt er dazu Expert:innen an die Uni Graz. In der Gesprächsreihe „Moraltheologie aktuell“ diskutieren Andreas Heller, Professor für Palliative Care und Organisationsethik an der Uni Graz, Alois Birklbauer, Professor für Medizinstrafrecht an der Uni Linz, und Gerold Muhri, Oberarzt an der Palliativstation des Krankenhauses der Elisabethinen in Graz, darüber, was „die Freiheit zu sterben“ beim assistierten Suizid bedeutet.

Mehr Informationen zu Vortrag und Podiumsdiskussion „Die Freiheit zu sterben“

Erstellt von Gudrun Pichler

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