Wenige Stunden nach dem Tod des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny im Februar 2024 erschienen auf einem populären Internet-Marktplatz für Bücher zahlreiche, qualitativ fragwürdige Biografien zu seiner Person. Eine schnelle Recherche ergab: Sie sind von der Maschine geschrieben – wenige Seiten, unpassende Titel, magerer Inhalt. Immer mehr wird ein tiefgreifender Wandel im literarischen Schreibprozess spürbar. Ein interdisziplinäres Forschungsteam der Universität Graz beschäftigt sich schon seit Längerem mit der Frage nach der Rolle der KI in der Literatur. „Autor:innen werden zusehens von Schreibenden zu Lesenden“, so die Literatur- und Kulturwissenschaftlerinnen Angela Gencarelli, Christine Schwanecke und Danica Stojanovic-Schaffrath. „Schreiben mit KI ist keine lineare Tätigkeit mehr, sondern ein dialogischer Prozess zwischen Mensch und Maschine.“ Es entstehe „eine Co-Produktion, bei der Kreativität nicht mehr allein vom Individuum ausgeht, sondern auch aus dem Zufall, den die Maschine mitgestaltet.“
Ein besonders aufschlussreiches Beispiel liefert das Theaterstück „Maschinengespräche“, das derzeit am Schauspielhaus Graz aufgeführt wird. Geschrieben wurde es mit einem personalisierten Chatbot, trainiert mit den eigenen Texten der Theatermacherin Kristina Malyseva. Besonders innovativ: Während der Aufführung erzeugt die KI in Echtzeit neue Passagen, die den Schauspieler:innen direkt über Kopfhörer eingesprochen werden. Die Dialoge entstehen also live – eine neue Form von Echtzeit-Interaktion auf der Bühne. „Das Stück ist nicht nur thematisch von KI durchdrungen, sondern auch strukturell. Die KI hat dort eine eigene Handlungsmacht“, so die Organisatorinnen.
Schreibprozesse im Wandel
Doch nicht nur auf der Theaterbühne, auch im literarischen Schreiben verdeutlichen Tools wie Sudowrite, Dramatron oder selbstgebauten Chatbots für experimentelle Lyrik und Fanfiction: KI kann mehr als Standardtexte produzieren; sie ermöglicht neue Erzählformen, alternative Intelligenzen und hybride Genres. „Wir sehen eine zunehmende Auflösung tradierter Rollenbilder von Autor und Leser, ebenso eine Verschiebung von Originalität hin zur sich schrittweise annähernden Co-Kreation“, führen die Forscherinnen aus.
Expert:innen-Tagung in Graz
Der Einsatz von KI bringt ethische Fragen mit sich: Wer trägt die Urheberschaft für Texte, die gemeinsam mit einer Maschine entstehen? Welche Daten und Werke fließen in die Sprachmodelle ein, unter welchen rechtlichen Bedingungen? Und wie lässt sich literarische Qualität bemessen, wenn menschliche und maschinelle Anteile nicht mehr klar zu trennen sind? Um diese Fragen interdisziplinär zu diskutieren, findet vom 19. bis 21. Juni 2025 an der Uni Graz die internationale Tagung „BrAIve New Worlds?! Literature in the Age of Artificial Intelligence“ statt. Sie dient auch als Ausgangspunkt für ein geplantes Forschungsnetzwerk, das die literarische KI-Entwicklung langfristig begleitet.
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