Der Kalte Krieg ist vorbei und auch wieder nicht. Im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine erleben die überstanden geglaubte Teilung der Welt, überkommen geglaubte Ideologien, Wertesysteme und Feindbilder ein trauriges Revival. Weil Nachrichtendienste im Krieg stets eine große Rolle spielen, bezieht sich Forschung zu tschechoslowakischen Nachrichtendiensten ab 1945 auch auf das Hier und Heute. Die Akteur:innen im Österreich der Nachkriegszeit, ihre Operationen und Vernetzungen werden aktuell in einem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt an der Universität Graz erforscht. „Wir sehen einmal mehr, dass die ‚große Geschichte‘ und die Mikroebene zusammenspielen. Die wirtschaftlich prekäre Lage vieler Menschen im Kalten Krieg spielte vielleicht eine größere Rolle als Ideologie, um sich für Spionagedienste anwerben zu lassen“, beschreibt Barbara Stelzl-Marx. Die Historikerin ist Leiterin des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung in Graz und Professorin am Institut für Geschichte der Uni Graz.
Das mehrsprachige Team um die Historikerin verfolgt einen vergleichenden Ansatz durch internationale Quellen und Archivbestände. Dieter Bacher, Phillip Lesiak, Sabine Nachbauer und Martin Sauerbrey bauen eine Datenbank auf, die das Geschehen dokumentiert, und vernetzen sich dafür mit der internationalen Forschungscommunity. „Es wurde beispielsweise ein österreichischer Geschäftsmann aus Wien angeworben, über den wir einen Ermittlungsakt des amerikanischen Counter Intelligence Corps (CIC), der damaligen US-Spionageabwehr, gefunden haben. Aus den tschechischen Archiven konnten wir seinen Familiennamen und sein Netzwerk extrahieren, weitere Informationen fanden wir in London, und in Österreich gibt es einen Akt aus einem Behördenvorgang zu seiner Lebensgefährtin“, gibt Projektleiterin Stelzl-Marx ein Beispiel. Die Alliierten mussten in Österreich also nicht nur administrative und militärische Strukturen aufbauen, sondern auch geheimdienstliche, um Strategien und Sicherheit zu gewährleisten.
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