Wenn draußen die Temperaturen steigen und in den Gärten die Grills angeworfen werden, denkt kaum jemand an das Mittelalter. Dabei war Grillen – oder besser: das Garen über offenem Feuer – eine der zentralen Kochmethoden jener Zeit. An der Universität Graz greift ein besonderes Kursangebot diese Tradition auf und bringt sie mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zusammen. Das Ergebnis: überraschend moderne Geschmackserlebnisse auf historischer Basis.
„Gegrillt wurde im Mittelalter tatsächlich viel – nur eben unter anderen Voraussetzungen als heute“, erklärt Helmut Klug, Initiator der Kochkurse zur mittelalterlichen Küche im Offenen Labor der Universität Graz und Wissenschaftler mit Leidenschaft für kulinarische Kulturgeschichte. Statt Gas- oder Elektrogrills kamen kniehohe Feuerstellen und Spieße zum Einsatz, gekocht wurde auch unter freiem Himmel, oft mit einfachsten Mitteln – aber immer mit komplexen Ideen: „Die Zubereitung war eng an medizinische Theorien gekoppelt. Besonders wichtig waren dabei die Soßen.“
Wichtiger als das Fleisch? Die Soße!
Das Grillgut war selten das alleinige Geschmackserlebnis. Die sogenannte „Soßenküche“ des Mittelalters hatte eine eigene Systematik. Sie verband medizinisches Wissen – etwa die antike Säftelehre – mit Zutaten wie Berberitzen, Walderdbeeren, Honig oder Ingwer. Die Soßen sollten den Körper ausbalancieren: kalte Speisen wurden mit erhitzenden Zutaten kombiniert, fette Speisen mit fruchtig-sauren Soßen ausgeglichen. „Das Fleisch an sich wäre ohne Soße oft zu langweilig – das galt damals wie heute“, so Klug.
Im jährlich stattfindenden Grillkurs an der Uni Graz stehen daher weniger das Fleisch oder der Rost im Mittelpunkt, sondern die Soßen – etwa eine Feigen-Kren-Sauce, die moderne Gaumen begeistert, oder eine grüne Kräutersoße nach historischen Rezepten. „Wir geben die Zutaten vor, aber keine Mengen – heutzutage entscheidet der individuelle Geschmack. Das passt perfekt zum sommerlichen Grillen, bei dem ohnehin oft experimentiert wird.“
Breite literarische Basis
Doch woher stammt das Wissen über die Kulinarik des Mittelalters? Klug hat dazu mittelalterliche Handschriften – die alle vor 1500 entstanden sind – durchforstet und sie im Rahmen von wissenschaftlichen Projekten ediert. „Etwa 55 Rezeptsammlungen liegen in ganz Europa verstreut. Diese überliefern rund 2500 individuelle Rezepte, viele davon beschreiben Saucen.“
Das Interesse ist groß, viele Kurse sind regelmäßig ausgebucht. Neben Standardkursen zu den kulinarischen Grundlagen des Mittelalters gibt es auch experimentelle Angebote wie den „mittelalterlichen Molekularkurs“ – entstanden aus einem interdisziplinären Forschungsprojekt mit Molekularbiologen Fritz Treiber. Ein Weihnachtsmenü auf Basis mittelalterlicher Rezepte und ein Kurs zum Thema Fasten sind ebenfalls in Planung. Alles im Rahmen der 7. Fakultät der Universität.
Für Klug ist klar: Mittelalterliche Küche ist längst kein Nischenthema mehr, sondern bietet gerade im Sommer spannende Impulse. „Wir wollen aus der historischen Überlieferung lernen. Es geht nicht um Reenactment, sondern um Geschmack, Vielfalt und den bewussten Umgang mit Lebensmitteln – das war schon damals zentral und ist heute aktueller denn je.“
Soßentipps für das sommerliche “Grillgelage”:
Feigen-Kren-Soße
Basiszutaten: Feigen (gerne frisch!), Datteln wenn vorhanden, Kren, Rotwein, Honig, Rotwein, Gewürze (Zimt, Nelken, Ingwer, Muskatblüte)
- Datteln und Feigen klein hacken und mit dem Honig und den Gewürzen im Wein aufkochen und eindicken lassen. Wenn nötig mit Honig abschmecken. In die lauwarme Sauce den geriebenen und gehackten Kren unterheben.
- Passt perfekt zu Rindfleisch, Brot, Topfen/Ricotta/Frischkäse, Käse, Eis – überraschend fruchtig und süßwürzig. Gemäß dem historischen Prinzip gleicht sie „kalt + feucht“ mit „warm + trocken“ aus.
Zur historischen Quelle: https://gams.uni-graz.at/o:corema.bs1.240
Kräuter-Soße (Kräuterpulver)
Basiszutaten: Getrocknete Kräuter nach Geschmack (Petersilie, Schnittlauch, Dille, Salbei, Bohnenkraut, Thymian, Rosmarin, Pfefferminze, …), Balsamessig, Öl, Salz
- 200 Gramm Kräuter nach Belieben mischen: Die Basis, ca. 125 Gramm, bilden aber Petersilie und Schnittlauch, alle anderen Kräuter geben Geschmack. Trockene Kräuter im Mörser zu Pulver zerreiben oder noch besser im Blender zu Pulver mahlen.
- Für die Sauce wird das Pulver mit etwas Essig, Salz und Öl sämig angerührt.
- Passt gut zu allem Gegrillten, Kartoffeln, Brot und das Pulver kann auch für die Salatmarinade verwendet werden. Wie im Mittelalter kann das Pulver auf Vorrat zubereitet werden, gut verschlossen hält es sich übers Jahr.
Zur historischen Quelle: https://gams.uni-graz.at/o:corema.br1.35
Erdbeer- (Walderdbeer-)Soße (modern adaptierte Variante):
Basiszutaten: (Wald)Erdbeeren, Wein, Weißbrot, Honig, Pfefferminze
- Ein kleinwenig Weißbrot mit Wein befeuchten. Die Erdbeeren damit pürieren und mit Honig abschmecken. Vor dem Servieren fein gehackte Pfefferminzblätter über die Sauce streuen.
- Eine süße Saucenvariante – passt gut zu Kuchen, Eis, Cremen.
Zur historischen Quelle: https://gams.uni-graz.at/o:corema.bs1.271
Tipp
Für eine Reise durch die Kulinarik des Mittelalters benötigt man zwar kein Studium, diese besonderen Texte aus historischen Quellen geben aber viel über die Lebensumstände dieser Epoche preis. Das Fach “Mediävistik” im Rahmen eines Germanistik-Studiums gibt Einblick in die mittelhochdeutsche Sprache und lehrt, wie man diese Schriften auch ohne KI lesen kann. >> JETZT ANMELDEN