Den Uni-Graz-Forschern Ephrem Aboud Ishac und Erich Renhart ist es dank modernster Digitalisierungsmethoden gelungen, die obere Hälfte eines Pergamentblattes, das sich heute im Mesrob-Maschtots-Institut für alte Handschriften in Erevan, Armenien, befindet, als Teil einer syrischen Handschrift aus dem 5. oder 6. Jahrhundert zu identifizieren, die im Besitz der British Library in London ist.
Ishac und Renhart sind Spezialisten auf dem Gebiet der Handschriftenforschung am Vestigia, dem Zentrum für die Erforschung des Buch- und Schrifterbes der Universität Graz. Sie setzen dabei auf eine selbstentwickelte Technologie: Mittels eines patentierten, mobilen Digitalisierungstisches können die Wissenschafter an jedem Ort rund um den Globus, zum Beispiel in einer Klosterbibliothek, wertvolle Schriftstücke objektschonend scannen. „Erfolge wie dieser sind ohne die digitale Erschließung von Beständen aus aller Welt undenkbar. Open-Access-Politik und rasante Fortschritte in den Digital Humanities ermöglichen es Forschenden, auch in Zeiten von Reisebeschränkungen, international vernetzt zu arbeiten und manch alten Schatz zu heben“, erklärt Prof. Erich Renhart, Leiter des Vestigia. Das Forschungszentrum trägt wesentlich dazu bei, das handschriftliche Kulturerbe zu erhalten, es wissenschaftlich zu erschließen und einer breiten internationalen Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Die Seiten der in London aufbewahrten Handschrift waren bereits digital erfasst und online zugänglich. Sie beinhalten unter anderem die Geschichte des Martyriums der Heiligen Alexander und Theodulus. Das Erevaner Fragment ist unzweifelhaft ein Ausschnitt aus der Passio Alexandri und damit die einzige syrische Quelle zu diesem Text. Die Forscher nehmen an, dass das Fragment wohl schon sehr lange von seinem Kodex getrennt ist. Die Handschrift entstand im heutigen Nordirak und gelangte wahrscheinlich im 10. Jahrhundert aus dem nordmesopotamischen Raum nach Deir el Surian, ins Syrerkloster, das in der ägyptischen Wüste liegt. Von dort aus war sie nach London gekommen. Das Fragment dürfte der Handschrift vor ihrer großen Reise entnommen worden sein und hat, vermutlich zusammen mit anderem Schriftgut, den Weg nach Armenien genommen. Ephrem Aboud Ishac zeigt sich besonders erfreut über diesen Fund: „Damit hat nicht nur ein winziger Puzzlestein seinen Platz gefunden, wir können an diesem Beispiel auch dokumentieren, wie Kulturgüter schon seit Jahrhunderten große Strecken zurücklegen, und die Zeugnisse einer ebenfalls in alle Winde zerstreuten Kultur wenigstens virtuell wieder zusammentragen.“
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