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Universität Graz Neuigkeiten Zwischenstopp

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Freitag, 09.09.2022

Zwischenstopp

Vier Monate lang forschte die Kiewerin Anna Kryvenko an der Universität Graz. Die Linguistin untersuchte, wie wie Europa und die EU im ukrainischen Parlament diskutiert werden – vor und nach Kriegsbeginn. Foto: Uni Graz/Leljak.

Vier Monate lang forschte die Kiewerin Anna Kryvenko an der Universität Graz. Die Linguistin untersuchte, wie wie Europa und die EU im ukrainischen Parlament diskutiert werden – vor und nach Kriegsbeginn. Foto: Uni Graz/Leljak.

Anna Kryvenko erforscht, wie Europa und die EU im ukrainischen Parlament diskutiert werden – vor und nach Kriegsbeginn

Wie wir über Personen, Staaten oder Institutionen sprechen, formt zumindest teilweise unsere Vorstellungen davon. Einige von ihnen werden im Laufe der Zeit immer wieder neu definiert, rekonstruiert und verhandelt. Aktuell ist das an der Ukraine und ihrer Beziehung zur EU zu beobachten. Die aus Kiew stammende Linguistin Anna Kryvenko nennt zwei Beispiele: „Wenn EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von der ukrainischen Bevölkerung als ‚leidenschaftlichen EuropäerInnen‘ spricht, erweckt sie damit den Eindruck, dass das Land, das sich tapfer verteidigt im Grunde bereits zu Europa gehört. Skizzieren sie und EU-PolitikerInnen jedoch die ‚Reise nach Europa‘, auf der sich die Ukraine befinde, oder wenn sie sagen: ‚Wenn Europa in euren Gedanken ist, wird es in euer Land kommen und eure Schwelle überschreiten‘, dann suggerieren diese Metaphern nur die Aussicht auf eine künftige Zugehörigkeit zu Europa.“


Diese Beispiele hat die Sprachwissenschafterin verschiedenen Reden im ukrainischen Parlament entnommen. Dort fielen sie häufig in den letzten sechs Monaten. Sowohl europäische als auch ukrainische PolitikerInnen haben verschiedene – manchmal widersprüchliche – Metaphern verwendet. Schon vor dem Ausbruch des Krieges recherchierte Anna Kryvenko, wie Europa und die EU durch dieses bewusste Engagement im ukrainischen Parlament repräsentiert werden. Die weltpolitischen Ereignisse haben ihre Forschungen nun noch brisanter werden lassen. Im Frühjahr floh die Wissenschafterin mit ihrer Familie nach Österreich. Dank eines Forschungsstipendiums konnte sie an der Universität Graz vier Monate lang an dem Thema weiterarbeiten.


Während ihrer Zeit in Graz baute Anna Kryvenko einen eigenen Textkorpus auf, der aus Rede-Transkripten besteht, die immer noch regelmäßig auf der Website des ukrainischen Parlaments veröffentlicht werden – trotz des Krieges. Auffallend war zum Beispiel, wie sich die Bezüge auf Europa und die EU in dieser Zeit anglichen und voneinander abwichen. Die Forscherin erklärt: „Das Wort ‚EU‘ bezeichnete stets eine normative Kraft und wurde weniger häufig verwendet als der Begriff ‚Europa‘. Letzterer meinte meistens eine kulturelle Einheit, der sich auf gemeinsame Werte stützt.“ Durch die gezielte Verwendung des Begriffs „Europa“ wurde und wird eine emotionale Bindung geschaffen, die andere Sprachbilder zusätzlich unterstützen. „Zum Beispiel, dass ‚das Herz Europas jetzt in Kiew schlägt‘", berichtet Anna Kryvenko.


Nach Ansicht der Forscherin wird das Selbstbild ihres Landes in diesen Reden gerade aktualisiert. „Die Ukraine wird oft - und zu Recht - als Verteidigerin der vielbeschworenen, europäischen Werte bezeichnet. Wichtiger als die Vergangenheit des Landes als Teil der ehemaligen Sowjetunion ist heute seine Gegenwart und Zukunft. Man kann sagen, dass sich die Ukraine neu erfindet - als moderner Staat, der seinen Platz in Europa einnehmen will." Dieser Prozess sei in ihren Augen aber auch eine Chance für die EU, ihr Selbstverständnis neu zu definieren, so die Wissenschafterin. „Die beeindruckende Solidarität mit der Ukraine hat enormes Potenzial. Einerseits beobachten die Beitrittskandidaten die Position der EU genau. Andererseits stärkt ein gemeinsames Vorgehen den Zusammenhalt unter den Mitgliedsstaaten."


Für Anna Kryvenko ist ihre Zeit in Graz bereits vorbei. Seit Anfang September arbeitet sie im Rahmen eines zweijährigen Postdoc-Programms am Institut für Zeitgeschichte in Ljubljana. Dort wird sie unter anderem erforschen, wie ukrainische und krimtatarische Frauen heute ihre ethnische Identität sowie ihre europäische Identität wahrnehmen und wie sich diese Selbstbilder in der Sprache ausdrücken.  

Erstellt von Gerhild Leljak

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