Nach der Diktion des französischen Anthropologen Marc Augé war die Tankstellen ein „Nicht-Ort“, ähnlich wie die Autobahnraststätte: Ein ungreifbarer, identitätsloser Platz für Durchreisende. Heute wird an der Tankstelle nicht nur bloß Treibstoff nachgefüllt und eine schnelle Jause gekauft – viel mehr ist sie für viele Personen eine wichtige Anlaufstelle, auch in ihrem Privat- und Sozialleben. Das Gasthaussterben begünstigte diese Entwicklung, erklärt Ao.Univ.-Prof.Dr. Helmut Eberhart vom Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Karl-Franzens-Universität Graz: „Das klassische Beisl gibt es heute fast nicht mehr. Der Stammtisch wandert daher mehr und mehr auch in den Gastronomiebereich der Tankstellen und erfüllt dort dieselbe Funktion des geselligen Austauschs und Verweilens.“ Eberhart hat mit Studierenden dreier Lehrveranstaltungen über insgesamt drei Jahre 14 Tankstellen in Graz und zehn Tankstellen quer durch die Steiermark empirisch als Orte der Begegnung erforscht. Die Ergebnisse werden 2019 in einer Ausstellung im Volksskundemuseum Joanneum zu sehen sein.
Tankstellen stehen vor großen Herausforderungen: sinkende Einnahmen aus dem Spritverkauf sowie immer häufiger werdende Selbstbedienungs-Zapfsäulen und mit Elektrostrom betriebene Autos erschweren den PächterInnen das Leben. „Daher haben die meisten Tankstellen mittlerweile auch einen Markt sowie ein Café. Oft wirkt gerade letzteres sehr anziehend, weil soziale Unterschiede dort verschwimmen und in den Hintergrund treten“, erklärt Eberhart. Für das Personal bedeute die Erfüllung verschiedener Aufgaben nicht selten eine Mehrbelastung. „Gleichzeitig erleben sie ein enges Vertrauensverhältnis mit ihren StammkundInnen, fühlen sich für die Behebung kleinerer oder größerer Probleme zuständig und erhalten deshalb oft positives Feedback.“
Gemeinsam mit den Studierenden konzipierte Eberhart die Ausstellung, die sich unter anderem auch mit der Geschichte der Einrichtung befasst: Als erste Tankstelle der Welt gilt die Stadtapotheke Wiesloch im nördlichen Baden-Württemberg. Bertha Benz, die Ehefrau des Automobilpioniers Carl Benz, stoppte dort 1888 auf der ersten dokumentierten Überlandfahrt, weil ihr der Treibstoff ausging. In der Apotheke erstand sie den gesamten Vorrat des Leichtbezins Ligroin und konnte so ihre Fahrt fortsetzen. Auch in Kunst und Film, vor allem in Roadmovies, hat die Tankstelle einen fixen Platz.