Im 19. Jahrhundert herrschte reger Austausch zwischen der „alten“ und der „neuen“ Welt – auch wenn nach blutigen Unabhängigkeitskämpfen die koloniale Bindung endlich Geschichte war. Trends aus Mode, Medien und Architektur kamen über das Meer, vor allem von Frankreich nach Lateinamerika. Dort erhielten sie einen eigenen „Touch“. Kehrten sie in neuer Form nach Europa zurück, wurden sie nicht mehr nur als exotisch verklärt, sondern auch als innovativ gewürdigt. Wie sich dieses transkulturelle Wechselspiel in der Literatur darstellt, erforscht Kurt Hahn. Er ist seit März 2021 Professor für Romanische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Graz.
Besonderen Fokus legt Hahn auf die Lyrik sowie auf die Erzählliteratur. Darin finden sich wiederkehrende Motive, wie die romantische Ursprungs- und Naturverklärung, die angesichts des weiten Kontinents in Lateinamerika neue Dimensionen annimmt. „Auch das Gedankengut der französischen Aufklärung rund um Jean-Jacques Rousseau scheint in der hispanoamerikanischen Literatur jener Zeit auf und inspiriert die Unabhängigkeitsbestrebungen vom Ende des 18. Jahrhunderts an“, erzählt Kurt Hahn. Neben dem transatlantischen Austausch interessieren ihn auch inter- bzw. transmediale Bezüge, etwa in Literaturverfilmungen. Ein weiterer Schwerpunkt des Forschers ist das Verhältnis zwischen Literatur und Ökonomie. Damit gemeint sind etwa Erzählungen, die sich ums Exzessive des Geldes drehen und die, wie Émile Zolas Roman L’Argent (1890/91), „finanzielle Krisen als politische Krisen aushandeln“.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Steffen Schneider wird sich Kurt Hahn an der Uni Graz zudem einem anderen spannenden Gebiet widmen: dem Mittelmeer und seiner Bedeutung in den romanischsprachigen Ländern in Europa sowie darüber hinaus. „Wie der Atlantik war das Mittelmeer seit jeher ein Raum für den Transfer von Waren, Informationen, Ideen, aber auch von Menschen. Wir möchten uns ansehen, wie sich dieser Natur- und Kulturraum entwickelt hat, wie er literarisch dargestellt wird und welchen Herausforderungen er heute, zum Beispiel durch den Klimawandel, ausgesetzt ist“, umreißt Hahn das gerade entstehende Forschungsvorhaben. Er selbst ist von der Ludwig-Maximilians-Universität München nach Graz gekommen, mit früheren Stationen in Heidelberg, Eichstätt-Ingolstadt und Würzburg.