Klasse oder Wohnzimmer? Ob auch unter 15-Jährige zu Hause die Schulbank drücken sollen, darüber ist eine hitzige Debatte entbrannt. Unabhängig von epidemiologischen Folgen – wie sieht die pädagogische Beurteilung aus? „Fernlehre hat nicht den gleichen Effekt und funktioniert nur in sehr kleinen Gruppen gut“, weiß Rudolf Egger, Erziehungswissenschafter und Dekan der Umwelt-, Regional- und Bildungswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Graz. Gerade im Pflichtschulbereich sei es wichtig, den Präsenzunterricht aufrecht zu erhalten, selbst wenn er in einem reduzierten Ausmaß – Stichwort: Schichtbetrieb – stattfindet.
Kopfzerbrechen verursacht dem Forscher, dass längere Schulpausen nicht nur Lernerfolge beeinflussen, sondern auch soziale Ungleichheiten verstärken können. Und er appelliert, an alle SchülerInnen zu denken: „Wenn viele Betriebe wirtschaftliche Probleme haben und insolvent werden, was passiert dann mit den BerufsschülerInnen?“
„Lehrende wissen in der Regel kaum etwas über das individuelle häusliche Lernumfeld sowie über die Infrastruktur innerhalb derer Kinder lernen. Gibt es ein eigenes Zimmer, einen Schreibtisch, unterstützende Eltern, eine stabile Infrastruktur, etc.? Wie kann hier tatsächlich von Unterricht gesprochen werden, wenn die Lernsettings derart unbekannt sind?“, sorgt sich Egger, dass Kinder hinsichtlich ihrer Bildungschancen zurückbleiben. Es bräuchte eine umfassende Erhebung der Voraussetzungen, um daraus Maßnahmen anzuleiten. Wichtig sei es auch verschiedene Formate und Szenarien der Online-Lehre schon im Regelbetrieb auszuprobieren, um besser auf künftige Ereignisse vorbereitet zu sein. „Hier hat man nach dem ersten Lockdown versäumt, neue Formate im Lehren und Lernen systematisch zu entwickeln“, so der Wissenschafter.