Mit einem Festakt in der Aula der Karl-Franzens-Universität Graz beging das Ludwig Boltzmann-Institut (LBI) für Kriegsfolgen-Forschung am 7. Juni 2013 sein 20-Jahr-Jubiläum. Doz. Dr. Barbara Stelzl-Marx, stellvertretende Leiterin der Einrichtung, begrüßte die zahlreichen prominenten Gäste, unter ihnen Justizministerin Beatrix Karl, Landeshauptmann Franz Voves, Bürgermeister Siegfried Nagl und Sektionschefin Elisabeth Freismuth in Vertretung von Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle. Auch Landeshauptmann a.D. Josef Krainer und Bürgermeister a.D. Alfred Stingl, einst Geburtshelfer des LBI für Kriegsfolgenforschung, nahmen an der Feier teil.
Vizerektor Peter Scherrer überbrachte Grüße von Rektorin Christa Neuper und unterstrich die Bedeutung des LBI für Kriegsfolgen-Forschung: „Die Arbeit des Instituts ist ganz nah an der Gesellschaft. Ich wünsche ihm, dass es seine wichtige und international anerkannte Forschung noch viele Jahre so erfolgreich fortsetzen kann.“
An seinen Standorten Graz, Wien und Raabs an der Thaya und in der virtuellen Außenstelle Klagenfurt beschäftigt das LBI für Kriegsfolgen-Forschung insgesamt acht fixe und etwa 30 ProjektmitarbeiterInnen. Univ.-Prof. Dr. Stefan Karner, Leiter des Instituts, gab Einblick in die Arbeit der vergangenen zwanzig Jahre. „Durch die teilweise Öffnung der russischen Archive 1990/91 wurde es möglich, Schätze für die österreichische Zeitgeschichte zu heben. Wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, freut sich Karner.
Die MitarbeiterInnen des Instituts haben tausende Akten über österreichische, deutsche, französische, italienische und luxemburgische Kriegsgefangene in sowjetischen Lagern sowie über Opfer, die auf russischen Friedhöfen bestattet worden waren, aufgearbeitet. Rund 150.000 österreichische Soldaten waren in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten, weitere 2000 ZivilistInnen waren interniert worden. Viele kehrten nicht mehr zurück. „Wir haben den Menschen Namen und Gesicht zurückgegeben“, so Karner. Gleichzeitig konnten die ForscherInnen der Ungewissheit vieler Angehöriger ein Ende setzen. 14.500 Anfragen zu den Schicksalen von Kriegsgefangenen, Internierten und ZwangsarbeiterInnen wurden beantwortet. „Die Stärke des LBI für Kriegsfolgen-Forschung ist die Verbindung von Wissenschaft, Vermittlung und Service“, betont Karner.
Die Ergebnisse der Forschungen füllen mittlerweile 34.000 Seiten in insgesamt über 70 Büchern, die von MitarbeiterInnen der Einrichtung herausgegeben wurden. Einige sind auch auf Englisch und Russisch erschienen. Mehrere Dissertationen sowie drei Habilitationen entstanden am Institut.
Hinzu kommt die Organisation von über 100 Konferenzen im In- und Ausland sowie mehrerer großer Ausstellungen, wie zum Beispiel jenre anlässlich 90 Jahre Republik Österreich im Parlament in Wien.
Das breite, internationale Netzwerk, in welches das LBI für Kriegsfolgen-Forschung eingebunden ist, umfasst neben Universitäten in Europa unter anderem auch die Russische Akademie der Wissenschaften sowie in den USA die Unis Harvard und New Orleans.
Als thematische Schwerpunkte für die kommenden Jahre nennt Stefan Karner „die Neuschreibung der Geschichte Ostmitteleuropas nach dem Zweiten Weltkrieg“, den Ersten Weltkrieg mit einer Ausstellung auf der Schallaburg 2014 sowie Besatzungskinder in Folge des Zweiten Weltkriegs. Außerdem soll an der Aufklärung der Schicksale von 90.000 ÖsterreicherInnen und Deutschen, die in Titos Gefangenschaft gerieten, gearbeitet werden.
Ein Höhepunkt des Festaktes in der Aula war dann die Überreichung des 12.000sten Personalakts des sowjetischen Volkskommissariats für innere Angelegenheiten (NKWD). Stefan Karner händigte das Dokument über die russische Kriegsgefangenschaft von Johann Haidinger in den Jahren 1945 bis 1947 an dessen Witwe und Sohn, den Journalisten Mag. Martin Haidinger, aus.
Den abschließenden Festvortrag hielt der deutsche Historiker Prof. Dr. Sönke Neitzel, derzeit an der London School of Economics tätig, zum Thema „Der ,Westen‘ und die ,neuen‘ Kriege seit 1990".