Wenn Sie zurückblicken, was ist Ihnen von dieser langen Zeit noch besonders in Erinnerung?
Renate Kicker: Ganz besonders erinnere ich mich auch jetzt noch an meine Anfänge am Institut in der Hans-Sachs-Gasse zurück. Noch während meines Studiums bewarb ich mich für eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft, die ich 1972 antrat. Damals waren wir sehr miteinander verbunden – und dieses Zusammengehörigkeitsgefühl hält bis heute noch an.
Was hat sich in diesen Jahren an der Uni am meisten geändert?
Kicker: Heutzutage ist man in seiner Arbeit viel mehr auf sich allein gestellt. Schrieb man früher etwa noch die Briefe gemeinsam mit den Sekretariaten, so sitzt man heute allein vor seinem Computer und schreibt alles selber. Informationen erhält man jetzt einfach und schnell übers Internet. Früher gab es hierfür viel mehr den persönlichen und direkten Austausch in Gesprächen. Heute hat man oft auch leider gar keine Zeit mehr für einen solchen Austausch wie früher.
Auch in der Lehre, die immer meine besondere Leidenschaft war, hat sich vieles verändert. Heute geht es weniger um Fachinformationen als um die Vermittlung des Wissens, wo die Studierenden diese herbekommen. Worauf ich immer schon besonders großen Wert legte, ist der Praxisbezug. Durch meine zwölfjährige Tätigkeit beim Europarat im Komitee zur Verhütung von Folter konnte ich den Studierenden mit diesem Hintergrund das Recht kombiniert mit der Praxis viel plastischer und lebendiger darstellen. Man hat einfach einen anderen Zugang zum Theoriekonzept und kann das spannend in der Lehre unterbringen. Das kam auch sehr gut bei den Studierenden an.
Gibt es etwas, das Ihnen im Ruhestand besonders abgehen wird?
Kicker: Die Lehre! Die Atmosphäre im Hörsaal, die Möglichkeit, Studierenden Informationen zu vermitteln, sie zu kleinen Forschungsleistungen zu führen, mit denen Studierende selbst eine Freude haben, das wird mir besonders fehlen.
Was haben Sie neben Ihrer Tätigkeit am Institut für Völkerrecht noch alles gemacht?
Kicker: Sehr groß war mein Engagement in Einrichtungen zur Folterbekämpfung, das Anfang der 1980er-Jahre begann. Professor Ginther war federführend bei der Gründung der NGO Österreichisches Komitee gegen Folter. Als seine Assistentin übernahm ich später von ihm den Vorsitz. Dieses Engagement qualifizierte mich 1997 für das Europäische Komitees zur Verhütung von Folter. Mit Professor Benedek gründete ich in Graz das Europäische Trainings- und Forschungszentrum für Menschenrechte und Demokratie, dem ich nun seit 2011 als Direktorin vorstehe. Seit 2012 bin ich überdies Vorsitzende des Menschenrechtsbeirats der Volksanwaltsanwaltschaft.
Wie kann man sich Ihre Tätigkeit beim Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter vorstellen?
Kicker: Ich war zwölf Jahre kreuz und quer durch Europa unterwegs und habe Gefängnisse, psychiatrische Anstalten oder Polizeistationen visitiert. Solche Visiten dauerten jeweils zwei Wochen, nach welchen wir Berichte an die jeweils zuständigen Ministerien übermitteln mussten. Was wir dabei erlebten, kann man sich gar nicht vorstellen. In einem Film würde man sagen, das ist eine große Übertreibung.
Diese Erfahrungen begleiten mich heute noch. Wenn ich an ein Land oder eine Stadt denke, fallen mir dazu weniger die Sehenswürdigkeiten ein, als die Orte, die wir inspiziert haben. Bei Riga schießt mir beispielsweise gleich das dortige riesige 2500-Mann-Gefängnis in den Kopf. Ich erinnere mich auch noch an eine Situation in Montenegro, wo wir nach einer wirklich erschütternden Visitation in ein Lokal geflüchtet sind und uns zwei Schnäpse genehmigt hatten, um das Erlebte zu verdauen. Was wir dort gesehen haben, war wirklich kaum verkraftbar.
Als Sie in den Gefängnissen oder psychiatrischen Anstalten unterwegs waren, war das für Sie bedrohlich, geht man da mit Angst hinein?
Kicker: Einmal war ich in Lettland in einem Gefängnis, wo Rottweiler als Wachhunde ohne Maulkorb gehalten wurden. Diese haben mir Angst bereitet. Aber vor Menschen habe ich mich nie gefürchtet. Einmal hat mir jemand gesagt, dass ich nach zehn Jahren der erste Mensch war, der ihm die Hand gegeben hatte. So etwas berührt.
Welchen Aufgaben werden Sie sich in Zukunft widmen?
Kicker: Ich freue mich, dass ich im Wintersemester noch einem Lehrauftrag an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät nachkommen darf. Daneben werde ich weiterhin meine Aufgaben als Direktorin des ETC mit Freude wahrnehmen, wo ich mich mit diversen Forschungsprojekten einbringen kann. Die Tätigkeit beim Menschenrechtsbeirat der Volksanwaltschaft läuft auch noch bis Juli 2018. Und sollte man mich für etwas brauchen, stehe ich sehr gerne zur Verfügung.
Zur Lang-Version des Interviews