Über die Wirkmacht des Theaters: Ästhetische Inszenierung und Politik der Affekte
Seit jeher entwerfen das Theater und verwandte Aufführungsdispositive – wie Opern, Feste und Kulthandlungen – Schauplätze, die eine anthropologisch verbürgte Lust am Verkleiden und Verwandeln, am Verstellen und Verwirren zur Geltung bringen. Auf der Bühne vollzieht sich ein Spiel von Figuren vor Publikum, in dessen plurimedialer Komposition alles zum Zeichen werden kann und ein eigenes, wenngleich der kontextuellen Wirklichkeit ähnliches Weltmodell etabliert wird. Im Modus des scheinhaften Als-Ob, das die Theatersituation genuin ausmacht, eröffnen sich zudem mannigfaltige Gelegenheiten für Aushandlungsprozesse, die in einen umfassenden diskursiven, sozialen und politischen Zusammenhang eingebettet sind. Die solcherart sich artikulierenden Politiken der Bühne widersprechen mitnichten besagter Lust am ‚Schau-Spiel‘ und finden überdies wesentliche Resonanz in der sinnlichen Wahrnehmung.
Wenn auf der Bühne alles zum Zeichen avanciert, so kann selbstverständlich auch alles politisch (re-)präsentierbar und deutbar werden, so lassen sich Machtverhältnisse ausstellen und unterminieren, Herrschafts-, Staats- und Gesellschaftsformen legitimieren oder denunzieren und im intersubjektiven Figurenhandeln sozioökonomische Energien oder kulturelle Konfliktsituationen durchkonjugieren. Aber mehr noch: Die Semiotik des Theaters – so der theaterwissenschaftliche Konsens – öffnet sich auf eine spezifische Theatralität und Performativität. Noch vor jeder zeichenhaft verfassten Sinnstruktur entfalten diese aisthetische Bedeutungspotentiale, die sowohl Bühnenfiktion und Publikumskommunikation integrieren als auch explizite Effekte politischer Affizierung zeitigen. Theatralität, Performativität und zudem die vielgestaltige Medialität des Theaters entbinden somit Wirk- und Deutungspotentiale, die nicht selten hochgradig ambigen Charakter entfalten. Denn sie laufen bisweilen offenkundigen Sinnangeboten der verbalen- und non-verbalen Kommunikation, der Sympathielenkung und der Perspektivenstruktur zuwider und relativieren, dementieren und konterkarieren diese sogar.
In unserer Tagung wollen wir beides zusammen, die semiotische wie die performative Dimension des Theaters, in den Blick nehmen und ihre weltbildende Kraft insbesondere auf Konstruktionen und/oder Dekonstruktionen des Politischen befragen. Unser Hauptaugenmerk gilt dabei den Dynamiken der Affekte, die freilich der Historisierung bedürfen und die je nach epistemologischem, psychologischem oder ästhetischem Kontext mit semantisch verwandten Begrifflichkeiten (pathos, passio, Leidenschaft, Gefühl, Empfindung, Emotion) korrelieren. Das Theater als veritable ‚Gefühlsmaschine‘ (D. Kolesch), die von Jammer und Schauder bis zu empfindsamer Rührung und demagogischer Empörung alles zu zeigen, alles auszulösen und dadurch Gemeinschaften (und seien es Gemeinschaften der Aus- und Abgrenzung) zu stiften vermag, hat für sich genommen eine immense Macht: eine von sich aus neutrale Macht der Verzauberung oder der Entzauberung, der Aufdeckung oder der Anklage, der Manipulation wie der Subversion und Revolution; eine Macht, die ebenso irritieren und Bestehendes infrage stellen wie auch instrumentalisiert werden kann; eine Macht, die als affektische auch mitunter nichts als Ohnmacht bezeichnet.
Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, die Vorträge internationaler Expert:innen zu hören und mit uns über die wirkmächtige Affektpolitik der Theaterbühne zu diskutieren.