In den letzten Jahren kann verstärkt ein Bedeutungszuwachs von Tradition in den verschiedensten Gesellschaften beobachtet werden. Dieser führt zu einer Veränderung des Umgangs mit Tradition und einer geänderten Bewertung von dessen Rolle. Im Englischen wird dieser Prozess unter dem Sammelbegriff "Revival of Tradition" plakativ bezeichnet, womit insbesondere die Rückbesinnung auf sogenannte traditionelle Werte in entkolonisierten Gesellschaften außerhalb Europas gemeint ist: Desillusionierung und Unzufriedenheit mit den nicht erfüllten Erwartungen im Rahmen von Unabhängigkeit und Entwicklung haben, unter den Prämissen der Moderne bzw. westlicher Vorbilder, zu Revivalismus und Traditionalismus geführt, der kritisch hinterfragt werden kann und muss.
Im Vordergrund dieser Ringvorlesung stehen dabei Fragen wie: Wer definiert, was als "traditionell" gelten kann und darf? Was ist „traditionell“ im jeweiligen Kontext der untersuchten Gesellschaften? Wer profitiert von einer Rückkehr zu sogenannten überlieferten, scheinbar historisch begründbaren Macht- und Herrschaftsansprüchen?
Tradition bezeichnet eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte, Traditionalismus hingegen die Instrumentalisierung bestimmter Praktiken und kultureller Manifestationen. Auch in den westlichen Gesellschaften zeichnet sich ein veränderter Umgang mit dem ab, was man als traditionell bezeichnen will und kann. Anhand von Beispielen aus Europa und Übersee werden in dieser Ringvorlesung grundlegende Zugänge, Konzepte und Kontextualisierungen analysiert.