Georgi Gospodinov liest aus Physik der Schwermut (Droschl 2014).
Ilija Trojanow liest aus Wo Orpheus begraben liegt (Hanser 2013).
Einleitung: Alexander Sitzmann
Der Erzähler von Georgi Gospodinovs zweitem Roman leidet an übergroßer Empathie: er kann und muss sich in alles und jeden einfühlen und erlebt dann, was diese anderen erleben – ob das nun sein Großvater am Beginn des 20. Jahrhunderts war, der kleine in ein Labyrinth weggesperrte Minotauros oder eine Schnecke, die gerade verschluckt wird. Aber auch, dass die Zeit unwiederbringlich vergeht, macht ihm zu schaffen; und er geht mit Zeit¬kapseln dagegen vor: Behälter, in die alles hineinkommt, was für die Gegenwart wichtig ist. Aber was ist wichtig? Zu diesem Zweck wiederum müssen Listen angelegt werden, eine im alten Ostblock bei Kindern und Jugendlichen ohnehin beliebte Praxis …
Aus zahlreichen kurzen und ganz kurzen Kapiteln, aus Erzählungen, Essays und Listen komponiert Gospodinov einen melancholischen Roman, der – wie oft bei Melancholikern – amüsiert und überrascht, und unterstreicht damit nachhaltig seinen weltliterarischen Rang. Seine Vergegenwärtigung altgriechischer Mythen ist ebenso denkwürdig wie seine Erinnerung an 40 Jahre bulgarischen Kommunismus. Und dass das Festhalten des gegen¬wärtigen Augenblicks eine vergebliche Aufgabe ist: es hindert ihn nicht daran, sich dieser Aufgabe von Seite zu Seite immer wieder neu zu stellen. (zu: Physik der Schwermut, Droschl Verlag)
Georgi Gospodinov
Geboren 1968 in Jambol in Bulgarien, studierte Bulgarische Philologie in Sofia, Mitarbeiter einer Literaturzeitung, Kolumnist der Tageszeitung „Dnevnik“ und arbeitet am Literaturinstitut der Bulgarischen Akademie der Künste. Debütierte 1992 mit dem Lyrikband Lapidarium, dem inzwischen mehrere weitere folgten. Bühnen- und Drehbuchautor.
Veröffentlichungen auf Deutsch, u.a.: Gaustín oder Der Mensch mit den vielen Namen (Erzählungen, 2004); Natürlicher Roman (2007); Kleines morgendliches Verbrechen (2010); Und andere Geschichten (2001); Physik der Schwermut (Aus dem Bulgarischen von Alexander Sitzmann; 2014).
Ilija Trojanow liest aus Wo Orpheus begraben liegt (Hanser 2013).
Die Reise in eine fremde Welt ungeahnter Kontraste und bezaubernder Geschichten, heraufbeschworen in kraftvollen Fotografien und fesselnden Erzählungen: Weltensammler Ilija Trojanow und Christian Muhrbeck reisten jahrelang durch Bulgarien, um die Facetten des dortigen Lebens zu erkunden, zwischen archaischer Kultur, Postsozialismus und den Spannungen der jüngsten Vergangenheit. Entstanden sind Fotografien, die jenseits aller Klischees den Alltag am Rand von Europa festhalten. Verbunden mit dieser Bilderwelt sind Erzählungen, die zwischen Reportage und Poesie schweben, und eine Region präsentieren, die bisher weitgehend verborgen blieb, auch wenn sie längst Teil unseres gegenwärtigen Europa ist. (zu: Wo Orpheus begraben liegt, Hanser Verlag)
Ilija Trojanow
Geboren 1965 in Sofia, Bulgarien, 1971 Flucht der Familie über Jugoslawien und Italien nach Deutschland, politisches Asyl. Zehnjähriger Aufenthalt in Kenia. 1985 bis 1989 Studium in München. Gründung des Kyrill & Method Verlags (1989) und des Marino Verlags (1992). 1999 Umzug nach Bombay, 2003 Kapstadt, derzeit lebt Ilija Trojanow in Wien.
Veröffentlichungen u.a.: Die Welt ist groß und Rettung lauert überall (1996); Hundezeiten. Heimkehr in ein fremdes Land (1999); An den inneren Ufern Indiens (2003); Der Weltensammler (2006); Kampfabsage. Kulturen bekämpfen sich nicht - sie fließen zusammen (2007); Der entfesselte Globus (Reportagen, 2008); Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte (Zusammen mit Juli Zeh, 2009); EisTau (Roman, 2011); Die Versuchungen der Fremde: Unterwegs in Arabien, Indien und Afrika (2011); Stadt der Bücher (mit Anja Bohnhof, 2012).
Alexander Sitzmann
Geboren 1974 in Stuttgart, Studium der Skandinavistik und Slawistik in Wien, forscht und lehrt an der dortigen Universität, seit 1999 freiberuflich als literarischer Übersetzer aus dem Bulgarischen, Makedonischen und den skandinavischen Sprachen tätig; Autor zweier sprachwissenschaftlicher Monographien und eines Wörterbuchs sowie Herausgeber mehrerer Anthologien und Zeitschriftenschwerpunkte, Gutachter für verschiedene Verlage und Institutionen im In- und Ausland; 2004 Ehrenpreis des bulgarischen Kultusministeriums, 2007/2008/2009/2010/2011/2012 Übersetzerprämie des bm:ukk, zahlreiche Stipendien und Veröffentlichungen.