Gerechtigkeit in der Arbeitswelt
Gerechtigkeit ist nicht bloß ein Gegenstand philosophischer Theorien. Gerechtigkeit ist vielmehr zunächst einmal ein handlungsleitendes Prinzip, das Menschen in konkreten Situationen der Ausbeutung und Benachteiligung dazu motiviert, sich zu erheben. Die Leitidee einer Gesellschaft, in der Gerechtigkeit und Gleichheit den Vorrang vor Ungerechtigkeit und Diskriminierung haben, bedingt eine Parteilichkeit zugunsten der zu kurz Gekommenen.
Diese „vorrangige Option für die Armen und mit den Armen“, wie sie in der katholischen Soziallehre genannt wird, basiert nicht auf sozialromantischen Phantasien, sondern auf konkreten Erfahrungen der Ausbeutung und Unterdrückung. Solche Erfahrungen machen Menschen z. B. in der Arbeitswelt, auch heute noch, auch in Österreich.
„In der Arbeitswelt erlebe ich sehr viel Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit. Die neoliberale Wirtschaft, in der der Markt zum Götzen erhoben wird, produziert Arbeitslosigkeit und übt auf die arbeitenden Menschen einen immer größeren Druck aus. Es zählt nur noch der wirtschaftliche Gewinn.“ (Franz Sieder)
Franz Sieder, geb. 1938, ist katholischer Priester und der wohl bekannteste und erfahrenste Betriebsseelsorger Österreichs, weiters Seelsorger der Katholischen ArbeitnehmerInnenbewegung (KAB), Gewerkschafter, Mitglied von ACUS (Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialdemokratie), Pax Christi (Friedensbewegung der katholischen Kirche) und vieles mehr. Zu Beginn seiner Tätigkeit in der Betriebsseelsorge hat er selbst am Fließband und im Akkord gearbeitet, um das Arbeitsleben aus der Innenperspektive kennenzulernen. Der „Arbeiterpriester“ Sieder hat sich zeitlebens für eine Aussöhnung von Kirche und Arbeiterschaft eingesetzt. Veröffentlichungen (u. a.): Gegen den Strom. Politische Predigten und Reden, Amstetten: Queiser, Bd. 1: 2001, Bd.2: 2008.