Der Erste Weltkrieg lag in seinen letzten Zügen. Dementsprechend dürftig gestaltete sich die Versorgung mit Lebensmitteln. Die hygienische Situation war katastrophal. Und dann brach mit der Spanischen Grippe eine verheerende Pandemie aus.
Das einstige Krankenhaus in der Grazer Mozartgasse – heute ein Institutsgebäude der Uni Graz – platzte vor allem im Oktober 1918 aus allen Nähten. Claudia Mühlbacher erläutert: „In diesem Monat kam es mit 81 Aufnahmen zu fast doppelt so vielen wie in den übrigen Monaten, davon waren 18 Personen an der Spanischen Grippe erkrankt.“ Es könnten aber mehr gewesen sein. Denn, begründet die Historikerin, eine genaue Diagnose war nicht immer eindeutig, da zu dieser Zeit unbekannt war, dass es sich um eine Virusinfektion handelte. Impfstoffe existierten noch nicht, ebenso Antibiotika. Und dennoch konnte mit Wickeln, Inhalationen und pflanzlichen Arzneimitteln wie Kampfer erfolgreich therapiert werden. Das belegt auch die Statistik: Während allein im Oktober 1918 in der Landeshauptstadt knapp 500 Menschen an der Grippe bzw. Lungenentzündung starben, vermeldete das Anna-Kinderspital für diesen Zeitraum keine Opfer.
Neben weiteren Atemwegserkrankungen traten Beschwerden des Verdauungstraktes gehäuft auf. „Das hing vermutlich mit dem Mangel an Lebensmitteln zusammen“, erklärt Mühlbacher. Sie geht davon aus, dass wohl viele Kinder zum Aufpäppeln eingeliefert worden sind. Damit dürfte sich auch die lange Aufenthaltsdauer von durchschnittlich 18 Tagen erklären.
Überraschend ist für die ehemalige Krankenschwester, die knapp elf Jahre lang auf der Schlaganfall-Station des LKH Graz arbeitete, die mit heutigen Standards vergleichbare gewissenhafte Dokumentation: „Erfasst wurden etwa die Körpertemperatur, Puls- und Atemfrequenz, verabreichte Medikamente sowie die Mahlzeiten.“ Die Berichte über die insgesamt 349 Patient:innen, die zwischen August 1918 und Februar 1919 im Anna-Kinderspital aufgenommen wurden, liefern zudem Aufschluss über die Lebensumstände. Zum Beispiel wurden die Anzahl der Geschwister, die Gesundheit der Eltern sowie der allgemeine Zustand bei der Spitalsaufnahme abgefragt.
„Claudia Mühlbacher war zwei Jahre lang als studentische Mitarbeiterin im Archiv tätig und hat so diesen Bestand kennengelernt und wissenschaftlich aufgearbeitet“, unterstreicht Leiterin Christine Rigler den Mehrwert für die Forschung am Universitätsarchiv. Sie hofft auf weitere Interessierte, umfasst doch der Gesamtbestand der Unterlagen aus dem Anna-Kinderspital die Jahre von 1844 bis 1953.