Einen besonderen Schatz hat der Historiker Mag. Ronald Posch geerbt: 166 Feldpostbriefe seines Großvaters, eines Bauernsohns aus Rettenegg im Bezirk Weiz. Johann Posch hat sie zwischen Juli 1942 und April 1945 geschrieben. Sein Enkel stellte die historischen Dokumente in den Mittelpunkt seiner Dissertation an der Karl-Franzens-Universität Graz. Die Analyse der Briefe gibt Einblick in die Gedanken-, Gefühls- und Lebenswelt eines einfachen Wehrmachtssoldaten im Zweiten Weltkrieg und zeichnet gleichzeitig ein Bild von der Situation der Daheimgebliebenen.
Im Juli 1942 wurde Johann Posch, damals 19 Jahre alt, zum Kriegsdienst eingezogen. Als Soldat der 5. Gebirgsjägerdivision kam der Oststeirer nach Leningrad an die Front, wo er bis zu seiner Verwundung im Juni 1943 kämpfte. Nach einigen Monaten im Lazarett in Lettland wurde er mit seiner Einheit nach Italien in die Abruzzen versetzt. Dann folgte der Rückzug an die italienisch-französische Grenze.
Fast jede Woche schrieb Johann Posch an seine Familie in Rettenegg. Dabei wird die schreckliche Realität des Krieges großteils ausgeblendet. Angst kommt nicht zur Sprache, ebenso wenig eine politische Meinung. Manchmal scheint der Krieg fast vergessen. So zum Beispiel wenn Johann Posch von Mailand, Florenz oder Turin schwärmt, stolz, diese Städte gesehen zu haben, die er als Bauer in Friedenszeiten nie bereist hätte. Die Erklärung für dieses „Filtern“ sieht der Historiker vor allem in der Rücksicht auf die AdressatInnen: „Die meisten der 166 Briefe richten sich an die Eltern, denen ihr Sohn wohl nicht noch mehr Sorgen bereiten wollte. Freunden gegenüber hätten Kriegsthemen sicher eine größere Rolle gespielt, wie etwa ein Brief an den Knecht zeigt“, betont der Dissertant. Zu beachten sei auch, dass die Verfasser mit einer Zensur rechnen mussten, auch wenn aufgrund der großen Zahl nur stichprobenartige Kontrollen möglich waren.
Johann Posch interessierte sich vor allem dafür, wie es zu Hause ging. Vorherrschendes Thema seiner Briefe ist die Landwirtschaft. „Dabei spiegeln sich Lebenswelt, Kultur und Selbstverständnis der bäuerlichen Bevölkerung der Region wider“, erklärt Ronald Posch. „Traditionelle Wertvorstellungen, Frömmigkeit, der Umgang mit Familie und die Strukturen der ländlichen Arbeitswelt werden deutlich.“ Johann Posch war Hoferbe. Während er als Soldat kämpfte, kümmerten sich seine Mutter und seine drei Halbschwestern mit einem Knecht um die Landwirtschaft. Der Vater war bereits alt und gebrechlich. Die Frauen mussten selbst Entscheidungen treffen. „Dennoch blieb die Autorität des Hausherrn außer Zweifel. Sie fragten ihn um Rat in alltäglichen Angelegenheiten, wie zum Beispiel, ob sie einen Ochsen schlachten sollten“, berichtet Ronald Posch.
Der Historiker, der seine Dissertation unter den Titel „Bauernopfer – Bauerntäter“ stellte, thematisiert auch die Frage nach Schuld und Verantwortung der einfachen Leute im Zweiten Weltkrieg. Dazu verknüpft er die Analyse der Briefe mit biographischen Forschungen über den Verfasser, dessen Erziehung, Schul- und Ausbildung, familiäres und dörfliches Umfeld. Als weitere Quellen dienten ihm lokale Chroniken und Dokumente aus dem Militärarchiv im deutschen Freiburg im Breisgau. Betreuer der Arbeit ist O.Univ.-Prof. Dr. Dr.h.c. Helmut Konrad.