„Diversität als Chance. Wenn Gesellschaft Theologie herausfordert“ – diesem Thema stellten sich an der Universität Graz der Bochumer Pastoraltheologe, Matthias Sellmann, und Referenten aus religiösen, sozialen und kulturellen Praxisfeldern. Anlass war der 5. Tag der Theologie, der am 7. April 2016 über die Bühne ging.
In seinem Impulsreferat griff Sellmann die Frage nach der Relevanz von Theologie für die heutige Gesellschaft auf. Der Gründer des Zentrums für angewandte Pastoralforschung (ZAP) nimmt nüchtern zur Erkenntnis: „Die Gesellschaft generell und die Universität speziell haben so gut wie keine konkreten und ergebnisorientierten Erwartungen an die wissenschaftliche Theologie mehr.“ Sellmann bezweifelte, dass Ökonomen, Naturwissenschaftlicher, Techniker oder Publizisten in ihren Bereichen Kenntnisse von Theologen heute wirklich brauchen.
Als Reaktion darauf stellte der Pastoraltheologe eine Theologie vor, die mehr sein will, als bloße Ethik und religiöser Verbraucherschutz. Seine Betonung liegt auf der Prozesshaftigkeit von Theologie, die sich dem Ziel der konkreten gesellschaftlichen Wirksamkeit verpflichtet. „Eine zukunftsgerichtete Theologie arbeitet weniger an ihren Inhalten und ihren Hermeneutiken, als ihrer Lern- und Wirksamkeitsstrategie. Sie stellt also um auf den Prozess und die Methode der Erkenntnisgewinnung.“ Eine Theologie, die von sich und der Gesellschaft etwas erwartet, müsse sich Einlassen auf einen Prozess der lernenden Wahrheitsfindung. „In diesem Gedanken ist eine Kirche vorgedacht, die ihren Gott nur dann versteht, wenn sie durch die Kultur, die sie umgibt, durchtaucht. Entweder ich interessiere mich über das, was die Kultur um mich glaubt oder nicht glaubt, oder Gott entzieht sich mir“, betont er.
Trotz ausbleibender Erwartungen des Außen und trotz der Erkenntniskrise im Inneren müsse sich eine zukunftsfähige Theologie deshalb durch nichts so intensiv wie durch Gesellschaft herausfordern lassen.
Im Bild eines rasenden Reporters, der sich in fremde Territorien hinausbegibt, spiegelt sich, so Sellmann, die Identität einer zukunftsfähigen Theologie wider. In Tätowier- und Nagelstudios, in der Börse oder auf der Mailänder Modenschau – überall dort, wo heute Modernität definiert wird, müssten journalistische TheologInnen herumschnüffeln. „Eine Journalistische Theologie tritt als zweiter Lungenflügel neben die klassisch-akademischen hinzu. Nichts Menschliches ist ihr fremd. Weil sie überall präsent ist, werden wir merken, ob und wenn ja wo sich die Gottesfrage auftut.“
Statements aus der Praxis
Ausgehend von ihren beruflichen Kontexten stellten Praxis-ReferentInnen ihre Wahrnehmung von Diversität vor. Waltraud Hamah Said-Hödl, Pastoraltheologin in Graz-Süd, weiß aus ihrer Arbeit im Begegnungszentrum über Probleme, die sich aus Diversität ergeben. Sie erkennt: „Bei Diversität geht es primär nicht um andere, sondern um meine persönliche Haltung, die ich verändern kann.“
Die Religionspädagogen Peter Kandlbauer, Ali Kurtgöz und Ivan Rajic zeigen die Herausforderungen von Diversität in der Schule auf. „Durch die kulturelle und religiöse Vielfalt müssen sich alle Religionslehrer als Fächergruppe neu definieren“, sagt Kandlbauer, der wie auch Ali Kurtgöz, in der Zusammenarbeit des Lehrerkollegiums eine Vorbildfunktion sieht: „Nur wenn wir es schaffen, gemeinsam zu arbeiten, können wir vorbildhaft für Schüler im Umgang mit anderen Religionen sein.“
Der in Bosnien und Herzegowina geborenen Ivan Rajic ist in der Schulseelsorge aktiv. Ihm ist es wichtig, den Ängsten der Schüler mit Fakten zu begegnen. Denn er weiß, „die mediale Berichterstattung über Krieg und Terrorismus schürt die Ängste der Schüler vor dem Fremden zusätzlich“. Aus seinen bisherigen Erfahrungen sieht er auch folgende Problematik: „Gelingt es Schüler mit Migrationshintergrund nicht, ihre Identität mit Österreich zu verknüpfen, so richten sie sich wieder stärker auf ihre Herkunftsländer aus.“
Die gelebte Diversität des Afro-Asiatischen Instituts (AAI) drückt sich in einem Lern- und Befähigungsansatz aus: „Je mehr man persönlich vom Fremden kennenlernt, desto leichter ist es, Diversität als etwas Bereicherndes wahrzunehmen“, so die Leiterin des AAI, Claudia Unger.