Kolonialismus, Familiengedächtnis und Geschlecht

30.03.2023
13:00 - 14:30
Arbeitsbereich Kultur- und Geschlechtergeschichte
Heinrichstraße 26/2, Raum 09.23

Kolonialismus ist Teil vieler europäischer Familiengeschichten: Bis heute bewahren Familien Briefe, Post-karten oder Beutestücke auf, die Vorfahr*innen als koloniale Akteur*innen nach Hause gebracht haben. Sie belegen nicht nur familiäre Verstrickungen, sondern haben über Jahrzehnte hinweg kollektive Vorstellungen über die koloniale Vergangenheit geprägt. Fotografien waren daran – als vermeintlich authentische Zeugnisse – ganz wesentlich beteiligt. Über den Tod der „Erlebnisgenerationen“ hinaus vermittelten sie koloniale „Erfolgsgeschichten“, wodurch Familien zu einem Hort kolonialer Geschichtsmythen, etwa der „anständigen“ Kolonialherr*innen, wurden. Dieser Vortrag nimmt die kolonialen Bildbestände von Familien in der italienischen Provinz Bozen/Bolzano in den Blick, deren (Groß-)Vätergeneration am faschistischen Kolonialkrieg gegen das Kaiserreich Abessinien (1935–1941) teilgenommen hatte. Markus Wurzer untersucht die Prozesse der visuellen Erinnerungsproduktion und zeigt dabei, dass diese nicht nur die Ex-Kolonialisten betrafen; oft waren es auch ihre Ehefrauen und Töchter, die sich um ihre Bildbestände "kümmerten" und so Bedeutungen über kolonialen Vergangenheiten hervorbrachten.