Die laut Modernisierungstheorie totgesagten ethno-nationalistischen Bewegungen haben in den letzten Jahrzehnten in Europa einen ungeahnten Aufschwung genommen. Dies gilt nicht nur für Osteuropa, wo nach dem Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens fast zwei Dutzend neue Staaten entstanden sind und ethnisch basierte kriegerische Konflikte ausbrachen. Auch in Westeuropa haben sich starke ethnisch-regionale Bewegungen in Italien, Schottland, Katalonien entwickelt; der stärkste Paukenschlag war diesbezüglich der Brexit.
In meinem Vortrag werde ich, ausgehend von einer Klärung der Begriffe und Prozesse im Zusammenhang mit Ethnizität und Nation, zunächst kurz einige dieser Bewegungen skizzieren. Sodann soll, basierend auf einer neuen empirischen Studie, der Fall Südtirol ausführlich dargestellt werden, der ja sehr erfolgreich gelöst wurde. Abschließend werde ich auf die Frage des Ethnonationalismus zurückkommen und kurz diskutieren, ob und wie dieser mit einem modernen, demokratischen Staatsverständnis vereinbar ist.
Zum Vortragenden:
Max Haller, geb. 1947 in Sterzing (Südtirol), war, nach ersten beruflichen Stationen in Wien und Mannheim, 1985–2015 ord. Professor für Soziologie an der Universität Graz. Er war Mitbegründer des International Social Survey Programme (ISSP) und der European Sociological Association (ESA). Er lehrte an zahlreichen Universitäten im In- und Ausland, darunter in Trient, Italien; an der University of California, Sta. Barbara; an der St. Augustine University, Tansania und zuletzt an der Corvinus University Budapest. Er ist Autor bzw. Herausgeber von rund 40 Büchern und 160 wissenschaftlichen Aufsätzen, die in internationalen soziologischen Zeitschriften publiziert wurden. An der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist er Mitglied der Kommission Migration und Integration und organisiert die Popper Lectures; 2016 gründete er mit KollegInnen die Wiener Gesellschaft für Soziologie (s. www.wienersoziologie.at). Er lebt seit seiner Emeritierung in Graz und Wien.