Vortrag von Prof.in Dr.in Helen Kohlen (Vallendar)
Mit einem Kommentar von Dr.in Merle Weßel (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg).
Sorge um andere, vor allem in der Betreuung von älteren Menschen und Kindern, wird seit den 1970er Jahren vorwiegend von Feminist*innen diskutiert und als eine Tätigkeit verstanden, deren Charakter als Arbeit anerkannt und monetär honoriert werden sollte. Während die sozialstaatszentrierte Debatte Sorgearbeit (care-work) als Bürgerrecht betont, die meist von Frauen ausgeübten Sorgetätigkeiten, ihre ökonomische Relevanz erhellen will und soziale Gerechtigkeit im Geschlechterverhältnis einfordert, blieben ethische Fragestellungen und eine normative Ausrichtung außen vor bzw. bis heute meist unausgesprochen.
Zugleich hat sich seit den 1980er Jahren im Zuge der moralpsychologischen Erkenntnisse von Carol Gilligan (1984) nicht nur eine US-amerikanische Debatte um Care und Gerechtigkeit entfaltet, sondern auch ein lebendiger europäischer Diskurs zur Care-Ethik (zorgethik, Omsorgethik, éthique du care, etica de la cura), der sich explizit mit der ethico-politischen Dimension sorgender Aktivitäten beschäftigt. Im Fokus stehen zunehmend die sozialen, kulturellen und politischen Implikationen. Fragen nach den Einflüssen von Macht, Ungleichheit (Gender, soziale Lage, race), Konfliktentstehung und Verantwortung sind seit den 1990er Jahren in den Vordergrund care-ethischer Ansätze gerückt. Die ursprüngliche Einsicht ist jedoch bis heute geblieben: Individuen können nicht als autonome Subjekte vorgestellt werden, sondern müssen in ihrer fundamentalen Relationalität begriffen werden. Erst langsam widmet sich eine Minderheit der deutschsprachig Forschenden dem Anliegen, die Care-Ethik weiterzuentwickeln und den Argumentationsstrang der Sorgearbeitsdebatte mit den Ansprüchen der Care-Ethik zu verbinden.
Im Beitrag von Prof.in Helen Kohlen werden die wesentlichen Entwicklungslinien der Sorgearbeitsdebatte und der Care-Ethik nachgezeichnet. Wendepunkte und das kritische Potential für transformative gesellschaftliche Prozesse werden so sichtbar.
Eine Kooperationsveranstaltung der Cluster „Gender“ und „Aging, Demography and Care“ des Forschungsnetzwerks Heterogenität und Kohäsion (HuK), der Elisabeth-List-Fellowship Programme „Gender Matters: Aging, Care, and Migration“ und „War Welfare and Gender in the First World War“ sowie des Zentrums für Interdisziplinäre Alterns- und Care-Forschung (CIRAC) und des Arbeitsbereichs Kultur- und Geschlechtergeschichte.